Petra Köchli, Projektleiterin beim SAH Zentralschweiz und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ZHAW in Wädenswil (Schweiz), war im Mai Gast des Podcasts von Radio-einFluss von ethik 22 am Institut für Sozialethik in Zürich. Hier finden Sie eine Zusammenfassung des Gesprächs.

Dieses Jahr gab bzw. gibt es bei Radio-einFluss vier spannende Radio-Interviews von, mit und über GREEN CARE und Care Farming in der Schweiz.
Am 1.Mai war Petra Köchli zu Gast, Leiterin einer Gemüsegärtnerei des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks Zentralschweiz, wissenscha liche Mitarbeiterin der Forschungsgruppe Grün und Gesundheit der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, und Vorstandsmitglied vom Dachverband Green Care Schweiz.

Radio-einFluss: Warum ist Landwirtschaft für dich wichtig?

Petra Köchli: Die Arbeit tut gut, auch mir persönlich. Sie ist eine Art Lebensstil – man arbeitet in einem Team zusammen, hat Bewegung und die Arbeit bleibt stets spannend. Kein Jahr ist wie das andere und es gibt immer etwas Neues. Sie ist erfrischend und faszinierend. Landwirtschaft ist auch schön und vielfältig, z.B. im Frühling, wenn alle Formen, Farben und Geschmäcker wiederkommen, und auch in den anderen Jahreszeiten, die man am eigenen Körper erfährt.

Radio-einFluss: Was macht ein:e Care Farmer:in zusätzlich oder anders als jemand die oder der ausschließlich Landwirtschaft betreibt?

Petra Köchli: Care Farmer:innen machen zum einen Teil Landwirtschaft und zum anderen Teil, wie der Name schon sagt, eine Form von Betreuung. Diese Betreuungsleistungen können sehr vielfältig sein, da auch die Betriebe sehr vielfältig sind. Die Zielgruppen unterscheiden sich: z.B. Kinder oder Jugendliche, die in schwierigen Situationen sind, time-out Plätze, Erwachsene mit psychischen Problemen oder ältere Menschen, etwa mit Demenz. Es ist sehr vielfältig, wer wie betreut wird und auch die Gewichtung zwischen landwirtschaftlicher Arbeit und Betreuung kann sehr unterschiedlich sein. Manche machen fast nur das eine, andere fast nur das andere, wieder andere haben eine ausgewogene Balance. Aber grundsätzlich ist es immer diese Mischung aus landwirtschaftlicher Tätigkeit und Betreuung von Menschen im landwirtschaftlichen Umfeld. Über die Verbreitung von Care Farming in der Schweiz liegen nur wenige Daten vor. In den periodischen Agrarstrukturerhebungen des Bundesamtes für Statistik wird die „Soziale Arbeit“ als Diversifikationstätigkeit der Landwirtschaftsbetriebe erfasst. Die jüngsten Zahlen stammen aus dem Jahr 2020 und zeigen, dass es zu diesem Zeitpunkt in der Schweiz rund 1130 landwirtschaftliche Betriebe gab, die „Soziale Arbeit“ anboten.

Radio-einFluss: Mit welchen Menschen arbeitest du?

Petra Köchli: Ich arbeite mit Menschen, die von der wirtschaftlichen Sozialhilfe leben, das heißt Menschen, die seit mehr als zwei Jahren keine Arbeit mehr hatten oder noch nie in der Schweiz gearbeitet haben. Einerseits sind unsere Teilnehmer:innen Menschen mit psychischen Problemen, zum Beispiel Menschen die an Schizophrenie oder Burn-out leiden oder litten, oder auch Menschen, die aus einem Kriegsgebiet kommen und deshalb belastende Gedanken haben. Andererseits sind es Menschen, die geflüchtet sind und schon länger in der Schweiz leben, aber zum Beispiel die Sprache noch nicht so gut sprechen und deshalb noch keine Arbeit gefunden haben. Größtenteils handelt es sich um Männer zwischen 20-60. Nicht alle von ihnen arbeiten täglich bei uns, sondern wir ermitteln bei jeder Person das geeignete Pensum und versuchen, dies kontinuierlich aufzubauen. Wir haben drei verschiedene Angebote: Beschäftigungsplätze, Stabilisierungsplätze und Arbeitsintegrationsplätze. Die Teilnehmenden der Arbeitsintegrationsplätze erhalten zusätzlich zur Tagesstruktur durch die Arbeit ein Jobcoaching, bekommen Hilfe beim Schreiben von Bewerbungen und bei der Jobsuche und versuchen, während sie bei uns sind, einen Job im regulären Arbeitsmarkt zu bekommen. Unsere Teilnehmer:innen bekommen meist auch von anderen Stellen Begleitung und Betreuung. Viele sind in psychologischer Betreuung und werden vom Sozialamt sowie ggf. eben noch von einem Jobcoach aus unserer Organisation unterstützt.

Radio-einFluss: Was heißt das für Bäuer:innen, wenn sie so etwas machen wollen?

Petra Köchli: Grundsätzlich kann das jede:r Landwirt:in machen. Jedoch hilft es, wenn man bestimmte Fähigkeiten und Ausbildungen mitbringt. Es gibt auch verschiedene Kurse und Lehrgänge, die man machen kann. Der Dachverband Green Care Schweiz ist derzeit an der Konzeption eines vorbereitenden Bildungsangebotes für Personen, die in diesem Bereich tätig werden wollen. Ziel ist, damit eine Grundausbildung für alljene zu schaffen, die mit einem Care Farming Angebot starten wollen und darauf aufbauend können weiterführende Kurse (z.B. spezielle Zielgruppen betreffend) besucht werden.

Radio-einFluss: Was gehört in so einen Vorbereitungskurs, den ihr gerade vorbereitet?

Petra Köchli: Dass man sich Gedanken darüber macht, ob der Betrieb dafür geeignet ist. Passt so ein Care Farming Angebot für uns? Was bedeutet das für uns? Sollen die Klient:innen auch bei uns wohnen, oder bietet man besser nur Tagesstrukturplätze an? Was passt für uns als Familie? Was bringt dieser Beruf mit sich? Auch die Erstellung eines Konzeptes, mit welcher Zielgruppe man arbeiten möchte, wie die eigenen Ressourcen und die des Betriebes aussehen.

Radio-einFluss: Welche sind die größten Herausforderungen, wenn man eine Care Farm gründen möchte?

Petra Köchli: Ich merke, dass das Netzwerk wichtig ist, aus dem man seine Teilnehmer:innen erhält und durch welches man dann auch unterstützt wird. Zusammenarbeit nach innen und außen ist ganz wichtig. Eine Herausforderung ist sicher, an die Klient:innen zu kommen und die Finanzierung zu stemmen, damit zu starten. Bei unserem SAH-Angebot Garten und Landwirtschaft sind es die Sozialdienste der jeweiligen Wohngemeinden, die die Teilnahme an unserem Angebot finanzieren. Man kann so ein Angebot ja nicht gratis durchführen. Aber die Finanzierungsmodelle sind hier sehr verschieden. Der Verein Care Farming Schweiz bietet Care Farmer:innen die Möglichkeit, Mitglied zu werden und sich auf dessen Webseite zu registrieren und das eigene Angebot dort vorzustellen, um so von potenziellen Angebotsnutzer:innen gefunden zu werden. Oder man knüpft mit anderen Stellen Kontakte, von denen mögliche Teilnehmer:innen kommen können, z.B. Familienplazierungsorganisationen.
Auch Aus- und Weiterbildungen sind zu empfehlen. Hier bieten auch einzelne Kantone bestimmte Möglichkeiten. Wichtig ist ein gutes Konzept, die Ressourcen, die man hat und die Entwicklung der Netzwerke und Kanäle, wo die Menschen herkommen und über die man das Angebot finanzieren kann.

Radio-einFluss: Wo wünschst du dir die nächste Veränderung?

Petra Köchli: Im Dachverband Green Care leite ich die Kommission Bildung und mein Wunsch ist, dass wir ein gutes Bildungsangebot für mehr Qualität auf die Beine stellen können. Dass Menschen, die Care Farming betreiben, auch die nötige Anerkennung erhalten. Unser Wunsch wäre auch, dass schon jungen Landwirt:innen in den Landwirtschaftsschulen von Green Care hören und Lust darauf bekommen, dies als möglichen Weg in Betracht zu ziehen. Als weiteres Standbein am Hof, wenn das passt. Grund, warum es das in der Schweiz noch nicht gibt, ist, weil vieles noch unklar und noch wenig gebündelt ist. Es fehlen noch einheitliche Strukturen und Angebote, die man zum Beispiel auf den landwirtschaftlichen Schulen vermitteln könnte. Dann würde auch die Kommunikation nach außen leichter werden.
Was ich mir auch wünsche, ist, dass wir bald ein Bildungsangebot für Landwirt:innen schaffen können, das qualitativ hochwertig ist, aber gleichzeitig nicht zu lange dauert und nicht zu teuer ist, damit es von möglichst vielen praktizierenden und angehenden Care Farmer:innen besucht werden kann.

Radio-einFluss: Was ist das Besondere von Green Care Angeboten auf einem Bauernhof?

Petra Köchli: Man ist immer draußen und der Freiraum gibt viel. Das ist für unsere Zielgruppen zum Beispiel sehr wichtig. Unsere Zielgruppe will nicht drinnen hocken, wo es zu laut ist und zu viel darum herum passiert. Landwirtschaftliche Betrieben bieten Raum, auch um sich zurückzuziehen. Tiere können eine wichtige Rolle spielen. Es kann viel Selbstvertrauen und Stolz geben, wenn man ein Tier versorgen kann. Und wenn man ein Produkt erschafft, das wirklich gebraucht wird. Man bastelt nicht nur etwas – nicht dass das etwas Schlechtes wäre — aber es ist für unsere Klient:innen auch schön zu sehen, dass die Kundinnen und Kunden unsere Produkte wirklich kaufen und essen und Freude daran haben. Das ist schön an der Landwirtschaft, das erfüllt auch mit Stolz.
Auch für Landwirt:innen ist es interessant, mit Menschen zu arbeiten, und Einblicke in ihre Welten zu bekommen. Das ist sehr speziell. Zudem kann man die Menschen, mit denen man arbeitet, mit der eigenen Begeisterung anstecken. Das ist eine schöne Bereicherung.
Auf wirtschaftlicher Ebene ist es eine Chance für kleine Betriebe, die vielfältig aufgestellt sind, aber oft um’s Überleben kämpfen.

Radio-einFluss: Wie unterscheidet sich Care Farming von anderen Green Care Angeboten?

Petra Köchli: Alle nützen die Natur, aber Care Farming ist halt am landwirtschaftlichen Betrieb. Man macht eigentlich normale landwirtschaftliche Tätigkeiten.

Radio-einFluss: Was möchtest du uns mit auf den Weg geben?

Petra Köchli: Landwirtschaft kann mehr als Nahrung produzieren. Sie kann Menschen auch auf andere Art nähren. Das ist ein großes Potential, das man nicht ungenützt lassen soll. Landwirtschaft bietet vieles für die Klient:innen, aber auch für die kleinstrukturierte Landwirtschaft. Wenn diese kleinstrukturierten Betriebe erhalten bleiben, fördern wir zum Beispiel auch die Biodiversität in unserem Land.